Herzschlag

Kurz nach der Hochzeit standen zwei wichtige Termine an. Zuerst die Beerdigung von Gs Oma und dann der Termin bei Frau Dr. Pille um zu sehen, ob sich unser Mini richtig entwickelte. Ein weiterer Meilenstein war in Sicht: Würde man einen Herzschlag sehen? Bei meinen vorherigen Schwangerschaften war dies immer der kritische Zeitpunkt gewesen. Dieses Mal aber war ich zuversichtlich. Ich nahm Progesteron zu mir, spritzte täglich Clexane für die Blutverdünnung und dazu noch alle vier Tage Granocyte aufgrund der Ergebnisse der Immunologieuntersuchung. Auch wenn das mein Bankkonto schwer belastete, gab es mir doch eine gewisse Sicherheit, dass dieses Mal alles gut gehen würde.

Hättest Du mal ein paar Kinder bekommen…

Die Beerdigung war sehr traurig. Gs gesamte Familie hatte Tränen in den Augen. Der Pastor hielt eine wirklich sehr schöne Rede, die uns ab und zu zum Lachen brachte. Zum Mittag gingen wir in Oma Hildes Lieblingsrestaurant und erzählten ein paar schöne Erinnerungen. Ich muss schon sagen, dass ich mich bei Gs Familie sehr wohl fühle und dafür auch sehr dankbar bin. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Trotzdem gab und gibt es auch in Gs Familie die ein oder andere Sache, die im Argen liegt. Wie wahrscheinlich einfach in jeder Familie.

Als die drei Geschwister nach der Beerdigung in Hildes Wohnung fuhren um sie auf und auszuräumen, fanden sie Hildes Weihnachtsüberweisungen an die drei Enkelkinder. Jeder der drei hatte eine andere Summe bekommen. Seine Schwestern lachten laut und wollten die exakten Beträge verheimlichen. Als es G. genauer wissen wollte, sah er, dass seine Schwestern den doppelten Betrag bekommen hatten. Ich weiß dass G. diesen Punkt an sich nicht schlimm fand. N. ist alleinerziehend mit drei Kindern. Sie hat es weiß Gott nicht leicht. Allerdings sagte sie lachend zu G. „Na hättest Du auch mal ein paar mehr Kinder bekommen in den letzten Jahren. Dann hätte Dir Oma vielleicht auch nen zusätzlichen Fuffi zugesteckt.“ G. verließ sofort den Raum. N. wusste von unserem schweren Weg und sie wusste auch von mindestens einer Fehlgeburt. Sie ist sonst eine sehr empathische Person und trotzdem sagte sie so einen unüberlegten, verletzenden Satz.

Als er mir die Geschichte später erzählte, war ich entsetzt. Ich verstand, dass nicht nur ich mit so fiesen Sprüchen, wie diesem, oft konfrontiert wurde, sondern es ihm genauso ging und es ihn ebenfalls schmerzte. N. entschuldigte sich später bei ihm. Aber solche Sprüche hinterlassen Narben. Ich denke, dass wisst ihr.

Angst vor den Worten „Es tut mir leid.“

Zurück in der Heimat, stand der Termin in der Kinderwunschklinik an. Ich war ungefähr bei 6+4 (6 Wochen und 4 Tage war das Mini alt.) Diese Zeit ist besonders spannend, da sich in dieser Zeit der Herzschlag des Babys entwickelt. Mit zitternden Knien saß ich mal wieder beim Arzt. So oft hatte ich inzwischen diesen Punkt schon erlebt und jedes Mal war er nicht gut ausgegangen. Jedes Mal schaute mich die Ärztin nur traurig an und jedes Mal startete ihr Satz mit „Es tut mir leid.“ Nie wieder wollte ich den Satz von ihr hören. Ich wollte endlich unser Mini im Arm halten. Nach vier Fehlgeburten, wollte ich auch endlich „dran sein“ und all die schönen und neuen Muttergefühle erleben. Ich hatte so Angst vor dem Termin, dass mir im Wartezimmer die Tränen liefen. Eine Patientin fragte ob alles okay wäre und ich nickte nur. Als ich endlich aufgerufen wurde, erkannte Frau Dr. Pille direkt den Ernst der Lage und bat mich direkt auf der Liege Platz zu nehmen, damit man mich schnell von dieser Unsicherheit erlösen konnte. Lebte unser Mini? Ging es ihm gut?

Ich konnte es sofort erkennen. Es blinkte. Sie sagte nichts. War dieses Blinken etwa das was ich vermutete? Bitte bitte sag dass es der Herzschlag ist. Bitte bitte!

Ich glaube es waren nur Sekunden, aber in meiner Wahrnehmung waren es endlos lange Minuten bis sie endlich sagte: „Da ist er ja, der Herzschlag. Können Sie es sehen?“ Mein eigenes Herz klopfte bis zum Hals. Mir wurde ganz warm und ich fragte noch einmal nach „Also ist alles okay? Das Herz schlägt?“ und sie bestätigte mit „Ja, das Herz schlägt und die Blutwerte sind auch super. Herzlichen Glückwunsch.“ Als ich die Praxis verließ, musste ich mich kurz auf eine Parkbank setzen und weinen. Ich weinte so herzhaft wie ich noch nie vor Freude geweint hatte. Völlig verheult kam ich zu Hause an und G. nahm mich sofort entsetzt in den Arm. Schluchzend brachte ich hervor: „Es schlägt. Mini lebt. Es geht ihm gut. Es ist alles okay.“

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14 Kommentare

  1. Ich hoffe so sehr dass diese Geschichte ein positives Ende nimmt. Konnte mich so gut in diese Situation hineinversetzen. Die Angst und auch das Glück was du verspürt hast. Bin ganz gespannt auf die nächsten Beiträge und drücke die Däumchen!

  2. Liebe Jiuliena, mit jedem Post denke ich, es gibt keine Steigerung mehr – aber wirklich bei jedem – je-dem – Eintrag habe ich eine wahnsinnige Gänsehaut.
    Ich wünsche Euch wahnsinnig von Herzen, dass Du die Zeit bis heute und hierher, nein, dass IHR diese Zeit bis heute und hierher gut überstanden habt. ❤

    1. Oh vielen lieben Dank liebe Helma! Ein wunderschönes Kompliment. ❤
      Noch ein paar Beiträge und dann erfahrt ihr auch wie es im Hier und Jetzt bei uns so aussieht. Bis dahin baue ich noch ein paar Cliffhanger ein. 😁

  3. Ich hatte am Ende Tränen in den Augen, vor Freude!!! Und zeitgleich ist die Sorge in mir aufgestiegen, dass es wieder kein Happy End genommen hat. Finde das gerade schlimm, ich, die NICHTS davon durchleben musste, sondern nur davon liest. Wie grauenvoll muss diese Zeit bis zu dem Herzschlag nur für dich und G. gewesen sein…

    Drück dich ganz fest ♥️ (und meine Daumen für das Happy End)

    Mir fiel bei dem verletzenden Satz von G.s Schwester (boah, regt mich das auf! Ja, ich weiß, Menschen sagen einfach dumme Sachen, und das nicht zu knapp, aber trotzdem!!! Wie kann man nur!) eine Geschichte aus meiner eigenen Familie ein: auf der Hochzeit meiner jüngsten Cousine vor wenigen Jahren wurde ein Spiel gespielt. Die Gäste sollten immer zu bestimmten Themen aufstehen, wenn sie auf sie zutreffen, und das Brautpaar musste die Gemeinsamkeit erraten. Klingt zu kompliziert, hier ein Beispiel: alle im Raum, die Haustiere haben, sollten aufstehen. Das Brautpaar wusste aber das Thema nicht, sondern sollte anhand der stehenden Personen überlegen, was die Gemeinsamkeit von ihnen ist. Auf der Hochzeit war auch meine älteste Cousine und ihr Mann, die etwas über ein Jahr zuvor bei 34+0 ihre Tochter verloren hatten. Und welche Aufgabe wurde den Gästen gestellt? Es sollte alle aufstehen, die Kinder haben.
    Meine arme Cousine ist sofort in Tränen ausgebrochen, ihr Mann beinah auch. Ich kann bis heute nicht fassen, wie unsensibel das war. Ja, die, die sich das Spiel überlegt haben, haben einfach nicht genügend mitgedacht, genau wie G.s Schwester. Aber trotzdem!!! Wie kann man nur…

    1. Ja, genau das ist das Problem, dass bei diesem Thema niemand daran denkt, dass es nicht nur diese tollen Geschichten wie im Fernsehen gibt. „Mir ist schlecht. Ups, schwanger. Alle freuen sich. Happy end.“ Es gibt eben auch andere Geschichten, die einen psychisch herunterziehen. Und ich finde es nicht selbstverständlich, dass Du da so mitfühlend sein kann. Danke! Ich weiß ja aber dass es bei Dir auch nicht immer leicht war. Vielleicht macht einen das sensibler. ❤

  4. Der Spruch deiner Schwägerin war ja mal sowas von daneben, vor allem, weil sie weiß, dass es bei euch nicht so einfach ist ein Kind zu bekommen.
    Ich freue mich so sehr, dass euer Mini die erste Hürde geschafft hat und hoffe, dass sein kleines Herz sich nicht davon abbringen lässt, einen guten Job zu machen.

    1. Danke!!! Gut zu wissen, dass Du uns die Daumen drückst. Umgekehrt gilt das natürlich auch. Weißt Du ja. Ich denke jeden den ich von Euch so kennenlerne – sei es auch nur digital – schließe ich ein bisschen in mein Herz. Und ich freue mich über jeden Blogeintrag von Euch, der mir vermittelt Euch geht es gut und ihr seid glücklich.

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