Heimat finden.

Die, die meinen Blog schon länger verfolgen wissen, dass ich vor über dreizehn Jahren meine Heimat verlassen habe um hier in der Isarmetropole ein neues Leben anzufangen und irgendwie auch mein Glück zu finden. Auch wenn es lange nicht so aussah, es hat irgendwie geklappt. Ich habe mir etwas aufgebaut. München ist ein Stück weit Heimat geworden, wo ich nun auch schon seit mehr als acht Jahren mit meinem Mann und seit zwei Jahren auch mit unserem Mini lebe.
Den Blog gibt es übrigens noch nicht ganz so lange, aber unser Zehnjähriges Jubiläum ist nicht mehr weit.

Ich habe in diesen vielen Jahren neue Freunde gefunden, mit denen ich hier viel erlebt, gefeiert und gereist bin. Zwei bis drei tiefe Freundschaften sind geblieben, aber viele dieser Bekanntschaften sind auch im Sande verlaufen, sei es durch ungleiche Lebensabschnitte, Umzüge oder fehlenden Gemeinsamkeiten.

Ich habe hier nun endlich den Job gefunden, mit dem ich mich wohlfühle, was wirklich nicht einfach war und Jahre gedauert hat.

Ich habe, dank Tinder, G. kennengelernt, wir sind zusammengezogen und nach langen langen Warten und Hoffen ist unser Mini zur Welt gekommen.

Ich fühle mich in dieser Stadt wohl, weil sie mir in den letzten Jahren genau das gegeben hat, was ich brauchte: Energie, Leben, einen Job, Neues entdecken, Menschen kennenlernen. Dennoch muss ich inzwischen feststellen, dass ich meine Heimat von Zeit zu Zeit vermisse.

Voll.

Überall ist es voll in München: die U-Bahn, im Café um die Ecke, auf der Einkaufsstraße, beim Arzt, auf der Stammstrecke der S-Bahn, in der Sauna, auf dem Spielplatz, im Kino, auf dem mittleren Ring, im Park und an sonnigen Tagen schwimmen sogar für meinen Geschmack ein paar Schlauchboote zu viel auf der Isar. Kein Wunder dass die Münchner oft über die „Zugroasten granteln“ und gern ihre Stadt wieder für sich hätten.

Teuer.

Und wie überall bekannt ist, es nicht nur „voll“, sondern auch noch teuer hier in München. Mittlerweile sogar teurer als in London. Drei Zimmer unter 2000 EUR kalt? Vergiss es. An Eigentum ist gleich mal gar nicht zu denken, wenn man nicht von Mama und Papa noch eine abbezahlte Eigentumswohnung als Eigenkapital mitbringt.

Daher sind es die Menschen gewohnt auf wenigen Quadratmetern zu wohnen, ohne Balkon oder Garten. Kochen in alten Küchen von 1980 auf orange-braunen Fließen, die noch älter sind. Aber warum soll der Vermieter auch investieren? 1. Bekommt er die Wohnung doch auch so für einen horrenden Preis vermietet und 2. siehe Erstens.

Als junge Familie sich in München ein komfortables Leben aufzubauen ist nicht leicht. Ein schönes Kinderzimmer und auch noch ein Arbeitszimmer? Träum weiter! Ein Haus mit Garten? Nur etwas für Millionäre. Zudem fehlen mir inzwischen doch auch meine Eltern in der Nähe, die Mini mal kurz nehmen können damit wir mal zusammen essen oder auf ein Konzert gehen können. Seit beinahe zwei Jahren hatten wir so gut wie keine gemeinsame Paarzeit mehr. Mir fehlen spontane Abende mit Freunden und das Gefühl „dazu zu gehören“ Denn als „Zugroaster“ wirst Du in Bayern einfach immer der „Ossi“ oder der „Fischkopf“ bleiben. Und das bekomme ich auch immer mal wieder zu spüren.

Höher. Schneller. Weiter.

München und die Münchner sind einfach immer höher, schneller, weiter. Wenn Du am Wochenende nicht Mountainbiken oder mindestens einen 2000m hohen Berg bestiegen hast, bist Du langweilig. Ski fahren ist sowieso Voraussetzung. Deine Outdoorausrüstung sollte auf jeden Fall auf dem aktuellen Stand sein wenn Du hier überleben willst und Deine Outdoorklamotten dem aktuellen Trend entsprechen, damit Du nicht sofort als „Preiß“ identifiziert wirst. Im Alltag sind diese Klamotten aber verboten. Da musst Du hipp sein, aber nicht zu hipp und schick, aber nicht zu klassisch.

„Liebt Dich diese Stadt?“ frage ich mich ein wenig ratlos. Und ich denke es nicht. München liebt mich nicht, sie duldet mich. Mich und die ca. 133.000 Anderen, die jährlich nach München ziehen.

Warm.

Wir haben lange überlegt, wo und wie unsere kleine Familie leben soll. Vielleicht reicht es zu den Stadtteil zu wechseln? Oder vielleicht raus aus der Stadt zu ziehen? Irgendwann muss es doch mal günstiger werden? Aber fühlen wir uns in einem bayrischen Dorf ohne Familie und Freunde wohl?
Sollen wir vielleicht zurück in die Heimatstadt gehen? Bei dieser Frage wurde ich immer ängstlich. Aber wenn ich über die Familie nachdenke, über all die Zeit, die uns noch bleiben würde, diese Ehrlichkeit und Liebe der Menschen die dort wohnen, wo ich aufgewachsen bin, dem Brötchen holen ohne Schlange und der bezahlbaren Altbauwohnung mit Garten, da wurde mir dann doch warm ums Herz. Zum Abendessen bei meinen Eltern, ganz spontan an einem Sonntag? Was für ein Traum. Wandern in der Sächsischen Schweiz, ein Besuch im Schloß Moritzburg, mit alten Studiumskollegen in die Neustadt ziehen und ein ruhiger Sonntagsspaziergang zusammen mit meinem Bruder?

Schluss mit dem Träumen und vielleicht mal mit dem Planen anfangen.
Wann ist es Zeit, zurück in die Heimat zu ziehen?

3 Kommentare

  1. Guten Morgen aus Kettwig 👋🏼

    Dein Beitrag ist so schön zu lesen und hat mich in vielem sehr angesprochen. Ich habe über mein eigenes Stadtleben nachgedacht. Als Kind wollte ich immer mitten in einer Großstadt leben, am besten auf einer Verkehrsinsel in New York, wo ständig Menschen und Autos um mich rum sind und Lichter und… aber da war ich 12 und hielt das einfach für pures Leben. In New York war ich dann mit 23, eine faszinierende Stadt, und wenn ich gekonnt (sprich genug Geld gehabt) hätte, vielleicht hätte ich es mal ausprobiert dort, sicher nicht auf einer Verkehrsinsel 😉

    Gelandet bin ich dann in Köln (🥳🤣), dort habe ich studiert, meinen ersten Mann kennen gelernt, gearbeitet… Freunde… tolle Altbauwohnung… all das, was Du so beschreibst, außer die Sache mit Ski und Outdoorklamotten… 😉 900 DM haben wir für unsere 110 qm große Altbauwohnung bezahlt, was wir damals schon recht viel fanden. Was sie heute wohl kosten würde? Das Fünffache? Wie auch immer, ich habe dieses (Mini-)Großstadtleben geliebt, viele Freunde, Stammkneipe, viel zusammen gemacht, gemeinsam gekocht… Kinder kamen dazu… es war ein buntes Treiben, es war immer was los und langweilig wurde es auch nicht.

    Doch die Zeit bleibt nicht stehen, Interessen ändern sich, Großeltern werden plötzlich wichtig, immer mehr Freunde ziehen auch deshalb fort und die sonst so geliebte Spontanität muss gut organisiert werden. Zunächst unmerklich keine Veränderungen, die mehr so nebenbei geschehen, die aber dann doch das Leben grundlegend verändern können. Ich meine das jetzt nicht negativ, es ist einfach so, mit 20 war ein Zuhause verbrachtes Wochenende UNDENKBAR, das ist wie sterben, keine Fête? Wir treffen uns nirgendwo? Bei den Eltern im Wohnzimmer hocken? Du großer Gott, bloß das nicht!! Und dann wird man 30 und 40 und 50… und dann heißt es, ein Wochenende nicht zu Hause? Wie, in einer verrauchten (heute ja nicht mehr😉) Kneipe hocken? Um Gottes willen! Zu meiner Studienzeit waren Partys in Wohnungen, wo man kaum noch durchkam vor lauter Menschen, die Raucher standen in der Küche, Stapel voller dreckigem Geschirr, laute Musik im Wohnzimmer, das war doch wundervoll!! Morgens stand man dann in den „Trümmern“ und war selig, wie gut die Stimmung doch war… heute wäre das für mich das Grauen!

    Ich will damit sagen, es ändert sich alles, und so komme ich zu Deiner Frage, wann es Zeit ist, in die Heimat zurückzuziehen. Ich würde das jetzt mal, aus meiner Sicht natürlich, eine andere habe ich nicht, ganz verallgemeinernd sagen: bevor man allein zurückbleibt. Um sich herum das bunte Treiben, aber kaum noch einer da, mit dem man es teilen kann.

    Es geht ja auch um Abschied nehmen, jedenfalls war das bei mir so. Abschied von den Jugendträumen, Abschied von dem „ich schaff das alles alleine und brauche meine Familie nicht“ und wovon man halt alles Abschied nehmen muss. Ich fand es für mich immer sehr wichtig, diese Abschiede selbst zu gestalten und sie nicht einfach so auf mich zukommen zu lassen und dann womöglich überwältigt zu werden und zwar so, wie ich es keinesfalls wollte.

    Mein Schicksal führte mich dann über eine neue Arbeitsstelle (meine absolute Lieblingsstelle) in die Nähe meines Elternhauses, was eigentlich aus zwei Häusern besteht, das, wo meine Eltern wohnten und dann das alte Siedlerhaus meiner Großeltern, wo ihr Haus quasi „angebaut“ wurde. Die neue Stelle und der Tod meiner Großmutter brachten mich dann in das alte Häuschen, in dem ich aufgewachsen bin und somit zurück zu meiner Familie. Neben meinen Eltern wohnte meine Tante noch dort und die andere Großmutter ebenfalls, der Rest der Großfamilie.

    Nein, es war nicht alles toll, und nein, es war auch nicht alles leicht. Aber heute, mit 64, sage ich, es war richtig. Ich hatte eine andere Art von buntem Treiben, Anekdoten könnte ich jedenfalls genug erzählen 😜 und als ich vor vielen Jahren an Krebs erkrankte, war es meine Familie, die mich getragen hat.

    Heute lebt von meiner Familie (außer meiner Schwester, die es in den Orient verschlagen hat) nur noch mein Vater, in der Wohnung über mir im alten Siedlerhäuschen, der „Anbau“ ist verkauft. Er ist alt und dement und braucht Hilfe. Sein buntes Treiben ist ziemlich grau geworden, aber so ist nun einmal das Leben. Ich habe wieder geheiratet, meinen Wandersmann, wir sind beide im Ruhestand und genießen die (damals für mich stinklangweiligen) Abende in unserer Wohnung, unterbrochen von Vaters Anrufen, der Fernseher gehe wieder nicht…

    Wenn ich an die denke, die ich war, damals, in der Großstadt (okok, Minigroßstadt gegenüber der Maxigroßstadt München😉), wie ich den Troubel liebte, die verplanten Abende, die vielen Gespräche am langen Küchentisch mit allen Freunden… halt das Leben in einer Stadt, wo man leicht zueinander finden konnte und nicht ewig lange Fahrten planen musste, und wenn ich dann an die denke, die ich heute bin, älter, ruhiger, Ruheständlerin… an die hätte ich damals ja nie gedacht. Wie heißt es: man kann das Leben nur rückwärts verstehen, muss es aber vorwärts leben.

    Wann ist es Zeit, zu gehen? Vorwärts gedacht. Und rückwärts gedacht. Antworten darauf muss man selber finden, man muss es ja auch selber leben. Für mich war immer nur eins wirklich wichtig: ich gestalte es selbst.

    Und vielleicht würde ich bei Kindern noch sagen: dann, wenn man sie nicht aus einer Gemeinschaft rausreißen muss. Zu Freunden gewordene Schulkameraden und Schulkameradinnen verlassen müssen, kann viel zu schmerzhaft sein.

    Ich wünsche Dir eine Entscheidung, die Dich trägt. Wohin auch immer.
    Alles Liebe!

    1. Hallo Gabi, vielen Dank für Deinen Kommentar. Du beschreibst genau das was ich fühle. Hier verändert sich alles gerade sehr und ich hänge mehr an dem was war als an dem was ist. Die eigenen Bedürfnisse haben sich geändert und München kann mir gerade nicht das geben, was ich brauche: Platz, Heimat, Liebe.
      Vielleicht ist damit meine Abschlussfrage schon beantwortet. Danke für das Teilen Deiner Geschichte! ❤️

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