Allein reisen heißt nicht allein bleiben, nur allein starten.

Allein in den Urlaub fahren konnte ich mir lange nicht vorstellen. Irgendwie klingt es ein bisschen befremdlich und beängstigend. Allein im Restaurant sitzen und mit niemanden darüber schwärmen wie lecker oder wie unglaublich eklig das Essen in fremden Ländern ist, allein am Strand liegen und anderen beim Beachvolleyball spielen oder baden zuschauen, allein mit einem Buch im Café sitzen und glücklichen Menschen zuschauen, wie sie ihre Erlebnisse und Eisbecher miteinander teilen.

Ich bin kein Einzelkind. Ich habe es nicht gelernt viel Zeit allein zu verbringen. Ich teile Erlebnisse und Erfahrungen unheimlich gern mit anderen, aber ich habe auch im Laufe der Zeit gemerkt dass ich manche Erfahrungen lieber allein machen möchte, als die falsche Person dabei zu haben. Deswegen bin ich wohl auch lieber Single als mit dem Falschen zusammen. Ich habe gelernt allein zu sein. Ich kann allein Löcher in die Wand bohren, allein Möbel aufbauen, eine Weinflasche aufmachen (oder auch zwei oder drei), auf Highheels gehen (wenn auch nicht besonders gut und nicht besonders gern), allein ins Kino gehen, mich allein in einer großen Stadt zurechtfinden – also warum nicht auch um Himmels Willen allein verreisen? Irgendwann kommt man als Single eben an den Punkt, da ist man urlaubsreif und die Liebsten, die sonst immer mit Dir die schönste Zeit im Jahr verbracht haben, haben gerade andere Dinge vor: Familiengründung, einen neuen Freund oder kein Geld.

Vor ein paar Jahren begann ich einen neuen Job in der Automobilbranche, der im Juli starten sollte und hatte meinen alten Job, bei einem Reiseveranstalter, bereits gekündigt. Als mich mein zukünftiger Chef nach meiner Kündigungsfrist fragte, weil er wollte dass ich so früh wie möglich startete, log ich. Ich wollte Zeit für mich. Eine kleine Auszeit und Kraft sammeln. Zeit um aus dem Alltag zu fliehen. Vielleicht sechs Wochen. Zeit für eine Tour. Abenteuer. Weg von allem. Und da gerade niemand meiner Lieben mit „weg“ wollte, hatte ich die Wahl zwischen einem Solotrip oder 6 Wochen in meiner kleinen Münchner Wohnung. Ein bisschen Schiss hatte ich natürlich schon, denn ich war vorher noch nie länger allein unterwegs und vor allem noch nie in Asien. Ich hatte mich aufgrund diverser Reiseberichte für Malaysia und Indonesien entschieden.

Südostasien ist generell ein sehr beliebtes Ziel bei Backpackern und in dieser aufgeschlossenen und inspirierenden Community ist es auch nicht ungewöhnlich allein zu reisen. Damals wollte ich ein Abenteuer erleben. Ein neues Fleckchen Erde entdecken, neue Leute treffen, weg von zu Hause den Kopf frei bekommen, neue Erfahrungen machen und Freiheit fühlen. Und genau das war es dann auch. Ein Bekannter von mir hatte in Singapur studiert und fragte einen Ex-Kommilitonen ob ich die ersten Tage bei ihm bleiben konnte. Danach wollte ich weiter nach Bali und buchte mich in einem Surfcamp ein. Zum einen natürlich um surfen zu lernen, zum anderen aber auch um vielleicht ein paar Gleichgesinnte zu treffen, die unterwegs waren und mit mir weiter nach Malaysia reisen wollten. Ja, okay, ich gebe zu ich habe auch auf ein paar heiße Surferboys spekuliert. Ich las viel über Land und Leute um herauszufinden wo ich genau hin wollte und was ich nicht verpassen durfte. Dabei bin ich auch auf eine sehr gute Seite im Netz gestoßen: joinmytrip. Hier finden sich deutschsprachige Reisende zusammen, die einen Reisepartner suchen. J. und ich schrieben uns ein paar Mails und verabredeten uns auf Bali am Flughafen Denpasar (Yeah! Ein Blinddate mit einem Mädel am anderen Ende der Welt). Sie wollte am gleichen Tag wie ich weiter nach Malaysia, allerdings erst abends, während ich am Morgen flog. Eine verrückte Geschichte, denn J. und ich trafen uns am Flughafen und sie gab mir einen Wohnungsschlüssel zu einer Wohnung in Kuala Lumpur. Die Wohnung gehörte wiederum einem Bekannten von ihrem Vater, den sie selbst kaum kannte. Als ich im Flugzeug nach KL saß wurde ich mir der verrückten Situation bewusst. Ich saß in einem Flieger von Bali nach Malaysia. (Für mich war das damals schon ungewöhnlich, weil ich bis dahin ja noch nie in Asien war.) Allein. Ich hatte einen Schlüssel zu einer Wohnung, von der ich weder die Besitzer kannte, noch die Person, die mir den Schlüssel gegeben hatte.

Ich war glücklich. Glücklich wie noch nie. Ich sah das blau glitzernde Meer aus dem Fenster und merkte wie die Motoren der Maschine beschleunigten und ich wusste dass ich alles richtig gemacht hatte. Ich war zwar allein in München gestartet, aber war bis zu diesem Zeitpunkt, dank D. in Singapur und dank der Surfergemeinschaft auf Bali nie allein gewesen. Und jetzt war ich unterwegs nach Malaysia und hatte eine Verabredung mit J. Ein paar Stunden später trafen wir uns wie verabredet in der Wohnung und tranken darauf erst einmal malaiisches Bier und stopften uns mit Streetfood zu. J. und ich reisten dann noch die nächsten 3 Wochen quer durch Malaysia. Cameron Highlands, Taman Negara, Perhentian Islands und George Town. Wir machten noch die ein oder andere Reisebekanntschaft gemeinsam und hatten eine wahnsinnig tolle Zeit. Ich hatte das Gefühl eine neue Freundin gefunden zu haben und sie doch schon lang zu kennen.

Natürlich könnt Ihr jetzt behaupten, dass das ungeheures Glück war, aber einige Zeit später war ich noch in Thailand und auf den Philippinen und machte ähnlich tolle Erfahrungen: Die ganze Welt ist voll von tollen, lieben, offenen und reisefreudigen Menschen, die bereit sind an Deinem Leben teil zu haben, Dich kennenzulernen und Dich auf Deiner Reise (zumindest teilweise) zu begleiten und zu unterstützen. D. aus Singapur hat mir ein Bett angeboten und die Stadt als Local gezeigt. J. aus Ungarn war mit mir auf Bali surfen und hätte mir sogar ihre Kreditkarte überlassen, nachdem meine einem Betrugsversuch zum Opfer gefallen war. Mit J. aus Hamburg hatte ich eine super aufgeschlossene und liebe Reisebegleitung für Malaysia gefunden, L. aus Österreich teilte mit mir ihre Flugangst von Bangkok nach Manila, nach Princesa und von da nach Cebu. Und glaubt mir sie war ein ernst zu nehmender Fall. Ich hatte rote Abdrücke an meinen Handgelenken nach jedem Start und nach jeder Landung. Mit P. aus der Slowakei musste ich so lachen, dass ich mir mitten beim gemeinsamen Abendessen fast eingepullert hätte. Er machte mir noch am selben Abend unseres Kennenlernens im Hostel beim Zähneputzen einen (vielleicht nicht ganz ernst gemeinten) Heiratsantrag. Mit C. aus Kolumbien schnorchelte ich in Begleitung eines Walhaies an einem der schönsten Strände die ich je gesehen habe und mit G. aus Thüringen erkundete ich auf einem Motorrad eine unbekannte Insel. Ich bin unheimlich dankbar für diese Bekanntschaften, Erlebnisse und Erfahrungen und kann nur jeden ermutigen:

Traut Euch! Brecht allein auf, aber bleibt es nicht! Lernt Eure Mitreisenden kennen! Allein Reisen heißt für mich nicht allein bleiben, sondern nur allein starten. Der Rest ergibt sich irgendwie von selbst.

18 Kommentare

  1. An genau so einem Punkt stehe ich gerade.

    Und um das Internetz zu zitieren: faith in humanity restored.

    Ich bin auch einer jener Menschen, der dir seine Kreditkarte überlässt und dachte damit relativ allein zu sein.

    1. An welchem Punkt stehst Du? Allein reisen ja oder nein?

      Auf Reisen trifft man natürlich auch Leute denen man die Kreditkarte nicht leihen sollte, aber ich war sehr glücklich dass ich das Angebot erhalten hatte, auch wenn ich dann eine andere Lösung gefunden hatte.

      1. Genau der Punkt.
        Nun habe ich es lange genug aufgeschoben um keine Freunde mehr besuchen zu können, die im Ausland leben ist anderen deutschen Städten. Und gebucht ist nichts. Und der Urlaub auch mit Terminen voll, so dass ich maximal 5 Tage weg kann. Und dann lohnt es sich ja schon fast nicht mehr und dann… diese Ausreden halt.
        Klar gebe ich nicht jedem meine cc. Aber eben jener Schlag Mensch der offen und so ist. Weil es Menschen so glücklich macht da niemand damit rechnet.;-)

      2. Okay, nach Asien würde ich jetzt auch nicht für 5 Tage, aber ein Städtetrip ist da sicher drin. Und ein paar Mitreisende findest Du über joinmytrip oder couchsurfing mit Sicherheit! Carpe diese scheiss diems!!! 😉

  2. Liebe Jiulena,

    ich hoffe du hast meinen Blogeintrag „To all the Single Ladies“ nicht falsch aufgefasst.

    Auch ich habe ein klein wenig Angst davor, wieder allein zu sein, gerade weil ich es in meinem Leben eben noch nie lange war !

    Aber genau so ein Bericht wie hier von dir, macht mir unglaublich Mut und Lust auf die Zeit als Single ! 🙂

    1. Nein, keine Sorge! Habe es nicht falsch verstanden. Single sein kostet nur manchmal sehr viel Kraft und je länger man Single ist desto weniger glaubt man daran dass sich der Zustand jederzeit ändern kann. Was er aber definitiv kann! Ich weiß aber genau dass ich viel lieber Single bin als mit dem Falschen zusammen.

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