Nervenbündel

In der Nacht vor meinem Termin zu Beginn der 11. Schwangerschaftswoche konnte ich nicht schlafen. Ich hatte Herzklopfen. Ich hatte Angst. Ich hatte Angst vor diesem Moment in dem meine Träume erneut zerstört werden könnten. Der letzte Termin war nur 1,5 Wochen her und unserem Mini ging es gut. Trotzdem bin ich weit weg davon mich zu entspannen. Wir sind eben immer noch in der kritischen Phase und so ein kleines Herzchen kann schnell wieder aufhören zu schlagen. Ich hatte es selbst schon erlebt und schon viele traurige Geschichten von Frauen gelesen, denen es ähnlich erging. In der wenigen Zeit in dieser Nacht, in der ich schlief, träumte ich wie mich jemand erstickte. Hatte das etwa eine Bedeutung? Am nächsten Morgen konnte ich nichts essen. Mir war schlecht. Die berühmte Morgenübelkeit. Ich musste mich noch kein einziges Mal richtig übergeben, aber an dem Morgen konnte ich noch nicht mal ein Glas Wasser trinken. Zitternd schwang ich mich aufs Fahrrad.

In der Klinik musste ich lange warten, bis ich endlich ins Behandlungszimmer gerufen wurde. Ich sah eine Zeitschrift für Kinderwunsch vor mir liegen. Wahnsinn, dass es sogar eine Zeitschrift gibt, die sich nur mit diesem Thema beschäftigt und monatlich neu erscheint. Ich nahm sie nicht in die Hand. Schließlich wurde mein Wunsch ja gerade Wirklichkeit, oder nicht?

Am Tag, als ich zum ersten Mal den Herzschlag unseres Minis gesehen hatte, kaufte ich mir ein kleines Armband mit einem Plättchen, auf dem eine Herzschlagslinie abgebildet war. An diesem Armband zupfte ich nun nervös herum und versuchte mit dem schlimmsten zu rechnen. Auf ein „Tut mir leid…“ ist man allerdings nie gefasst und ich beneide alle Frauen, die es nie zu hören bekommen haben.

Herzschlag

Als ich endlich zu Frau Dr. Pille durfte, war ich das reinste Nervenbündel. Ich musste tief durchatmen, meine Stimme zitterte als ich ihr berichtete wie es mir ginge. Ich durfte direkt auf die Liege und meinte, dass ich nicht auf den Monitor gucken könne. Und tat es doch. Ich sah sofort, dass das Mini gewachsen war. Aber war da auch dieses flimmernde Licht zu sehen, was den Herzschlag markierte? „Sie müssen sich überhaupt keine Sorgen machen. Es ist alles gut. Der Herzschlag ist sehr kräftig zu sehen und es ist bereits über 3cm groß.“ Direkt flossen bei mir die Tränen. Dieses Baby wollte tatsächlich zu uns kommen. Es lebte. Es war gesund. Ich schniefte vor Erleichterung und Frau Dr. Pille lächelte. Sie drückte ein paar Knöpfe und da war er auch zu Hören: Der Herzschlag unseres Babys.

Sie meinte noch, dass ich jetzt schon die kritischste Phase überstanden hätte und ich mir nicht so viele Sorgen machen soll. Ich wollte sie drücken. Das sagte ich ihr auch. Ich weiß, sehr unpassend. Sie ist Ärztin und ich ihre Patientin. Und sie hat eigentlich auch nichts gemacht, denn unser Mini hat sich ja auf natürlichem Weg bei uns eingenistet. Außerdem ist da ja immer noch dieses Corona. Also lachten wir nur und ich wusste trotzdem, dass sie meine Dankbarkeit spürte.

Entlassen

Und dann sagte sie tatsächlich, dass wir uns heute das (vorerst) letzte Mal gesehen hätten, denn nun gab es keinen Grund mehr für die KinderWUNSCHklinik. Ich sollte direkt einen Termin bei meinem Frauenarzt vereinbaren und einen für das Ersttrimesterscreening ausmachen. Nach 2,5 Jahren in der Kinderwunschklinik und insgesamt 4 Jahren Kinderwunsch verlies ich das Gebäude ohne Folgetermin und rief noch im Treppenhaus G. an um ihn die freudige Nachricht zu überbringen. Mit „Hallo Papa“ begann ich das Telefonat und mir liefen schon wieder ein paar Tränen die Wange herunter.

Es fehlen immer noch 2 Wochen bis wir die 12. Woche überstanden haben und damit auch die offiziell kritische Zeit. Und auch das ist ja nur ein künstlich gesetzter Marker und es kann noch so viel passieren. Meine Ängste sind immer noch sehr stark vorhanden, aber ich kann wieder optimistisch nach vorn schauen und anfangen zu träumen. Das fühlt sich wirklich gut an und ich hoffe sehr dass das so bleibt bzw. noch besser wird. Auf jeden Fall bin ich glücklich. So glücklich wie schon lange nicht mehr.

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7 Kommentare

  1. Liebe Jiuliena, ich kenn dich ja nur virtuell und schreibenderweise, aber ich geb jetzt trotzdem einen blöden Ratschlag 😉 bei allem was ich bis jetzt über Sternenmütter und Fehlgeburten und darauf folgende Schwangerschaften gelesen habe: diese Ängste sind so schrecklich normal. Und jetzt kommt mein Rat, als eine, die keine Ahnung von diesen Zuständen hat: ich denk mir, vielleicht ist es wie bei allen Emotionen, mit denen wir kämpfen. Das unterbewußte Vorbereiten auf das Schlechte, das kommen mag, hilft vielleicht nicht so viel wie wir uns das wünschen. Daher glaub ich, es ist vielleicht umso wichtiger, den schönen Zustand zu genießen und den Emotionen freien Lauf zu lassen. Weil trauern muss/tut frau/man sowieso nachher (wenn dann doch das Befürchtete eintritt). Und was ich mittlerweile von anderen schon gelesen hab: im Nachhinein bedauert frau dann, den schönen Zustand nicht genossen zu haben. Ratschlag off 😉 wie gesagt, ich weiß ja selbst, wie das mit Ratschlägen ist. Und Ängste kann leider niemand „einfach“ abstellen. (Vielleicht schaffen das manche mit Meditation, ich gehör‘ leider nicht dazu!) Jetzt halt ich wieder meinen Mund!

  2. Ich freu mich gerade so sehr das zu lesen! Sooo schön! 💕
    Ich hoffe, dass deine Ängste immer weniger werden und du die Schwangerschaft immer mehr genießen kannst.
    Bei mir persönlich wurde es mit der Zeit immer besser, nach der 12.Woche war ich deutlich entspannter und als ich meine Tochter dann sogar spüren konnte wurde es vieeeel besser. Ich habe meine Schwangerschaft dann in vollen Zügen genossen und bin sehr glücklich darüber dass das so ging.
    Ich war sehr gerne schwanger. (und freue mich darauf es irgendwann bald mal wieder zu sein… Mal schauen wann das bei uns mal klappt… 🙄)
    Die Angst führt nicht dazu, dass die Dinge vor denen man Angst hat nicht passieren. Sie versaut einem nur die Zeit, in der man auch glücklich sein könnte.
    Und wenn dann tatsächlich doch nochmal eine schlimme Nachricht kommt dann hat es null komma null damit zu tun, dass man sich gefreut hat oder glücklich war. Und dann hat man die Zeit, die man mit seinem Kind verbringen durfte wenigstens glücklich verbunden verbracht.
    Ich hoffe diese Worte klingen nicht doof. Ich weiß noch, dass ich damals in der Schwangerschaft nach der Fehlgeburt anfangs furchtbar Angst hatte und mich erst gar nicht richtig freuen wollte. Aber ich habe es dann zum Glück doch immer mehr geschafft und bin sehr froh darüber und wünsche dir und euch sehr, dass das bei euch auch bald der Fall ist. ❤️
    Und meine Daumen sind weiterhin fest gedrückt. ❤️🍀❤️🍀❤️

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